„Evolver ist nun seit zwei Monaten auf dem Markt, und ich bin sehr glücklich und dankbar, diese kleinen Geschichten erzählt zu haben. Ja, die Songs mögen hier und da etwas Melancholie in sich tragen, aber ich hoffe, dass sie im Grunde genommen gute Stimmung verbreiten. Ich lerne, dass es meine Aufgabe als Musiker ist, positive Botschaften zu vermitteln.“ (MOBILE ETHNIC MINORITY unter seiner/ihrer facebook-Seite)

Wie klingt es, wenn man den großen Weltschmerz auf den Schultern eines Musikers ablädt?
Wahrscheinlich ganz ähnlich wie auf „Evolver“ von MOBILE ETHNIC MINORITY. Und so seltsam es erscheinen mag, das gesamte Album trägt einen gewissen Atem in sich, den auch ein JOHN LENNON aus dem Jenseits beigesteuert haben könnte und heute ein Mark Oliver Everett aka E noch immer beisteuert. Dass diese Parallele tatsächlich sehr nahe liegt, wird dem Hörer bewusst, wenn er die Hintergründe von „Evolver“ und der Band MOBILE ETHNIC MINORITY, die gar keine Band, sondern ein Ein-Mann-Projekt ist, erfährt.

Genau deswegen liegt der LP ein umfangreiches Schreiben des Musikers, inklusive eines Download-Links, bei, in dem sich der Münchner Studiomusiker Mario Knapp, der bereits mit einer Vielzahl anderer Künstler aus aller Welt zusammenarbeitete, bei. Darin erläutert er seine „Evolver“-Absichten, die fast kryptische Züge annehmen – darum hier die wichtigsten Infos, die bestimmt bei vielen Lesern dieser Zeilen das Interesse und Neugier am MOBILE ETHNIC MINORITY und diesem Album wecken werden: „Ich mag es, dass ‚Evolver‘ das Wort ‚LOVE‘ enthält, nur rückwärts gelesen. Und ‚R'Evolver‘ ist eines meiner Lieblingsalben der Beatles. Im Arabischen ist 'Al-Baari' (einer der vielen Namen Allahs) der Evolver, der Schöpfer, der die Macht hat, Dinge aus dem Nichts zu erschaffen. Er ist der, der die Dinge nach seinem Belieben formt und gestaltet.“

Wow, das sind eine ganze Menge Parallelen: von den BEATLES über die Liebe bis hin zu einem der 99 Allah-Götter-Namen des Islam. Zudem fällt auf, dass sich Mario Knapp auf der LP-Rückseite bei DANIEL LANOIS, einem kanadischen Musiker und Musikproduzenten, bedankt, der nicht nur hervorragende Solo-Alben (von denen das in den USA zensierte Cover zu „For The Beauty Of Wynona“ atmosphärisch irgendwie an das „Evolver“-Cover erinnert) veröffentlichte und eng mit BRIAN ENO zusammenarbeitete. Auch das echte Jahrhundert-Album „The Joshua Tree“ von U2 produzierte er oder arbeitete am „OVO“-Soundtrack von PETER GABRIEL mit. Beides insgesamt dunkle, mitunter bedrückende Alben. Und genau diese Stimmung übernimmt MOBILE ETHNIC MINORITY für sein „Evolver“, das minimal instrumentiert vordergründig von dem charismatischen – oft todtraurig oder wenigstens melancholisch erscheinenden – Gesang lebt. EELS sind niemals weit, wenn Knapp seine Stimme erhebt. Also – in diesem Sinne ein echter Geheimtipp für alle, denen 'E' und seine mitunter spinnerten Vokal-Ausflüge der ganz besonderen Art, in denen er mitunter sehr morbide Themen aufgreift, schaurige Faszination durch die Ohren über den Rücken jagen.

Wie wichtig MOBILE ETHNIC MINORITY die hier erwähnten Musiker sind, beweisen seine eigenen Aussagen (wiederum im Begleitblatt der LP nachzulesen), die viel auch über die Ansätze hinter „Evolver“ aussagen – und genauso bildhaft wie Mario Knapps Sprache erscheint in diesem Sinne auch sein bereits 16., minimal akustisch instrumentiertes Solo-Album: „Wenn man sich daran macht, ein Album zu produzieren, ist man im ‚Zaubergeschäft‘ tätig. Man glaubt, man sei der Kapitän des Schiffes. Aber das ist man nicht. Man kann sich nur hingeben. Man hisst die Segel und lässt die Musik zum Wind werden. Lassen Sie mich drei großartige Männer zitieren, die viel mehr wissen als ich: BRIAN ENO sagte: ‚Viele schöne Dinge entstehen aus Scheiße. Dinge entstehen aus dem Nichts.' DANIEL LANOIS sagte: ‚Meine Gitarre sagt mir, was ich spielen soll. Ich sage ihr nichts.' BOB DYLAN sagte: ‚Es ist keine Kopfsache, es ist eine Herzensangelegenheit.' Ja, es ist Magie.“

Diese Magie wohnt auch „Evolver“ inne.
Verzaubern lassen müssen wir uns von diesen fragilen Songs aber selber.
Würde E von den EELS nicht aus Washington sondern aus München kommen, er würde wohl so ähnlich wie Mario Knapp klingen.

FAZIT: „Du fragst dich vielleicht: 'Warum hast du dann neun Monate gebraucht, um das Album fertigzustellen?' Nun, weil ich Songs mag und ein Studio-Fan bin, der gerne experimentiert. Ich bin im Zaubergeschäft tätig.“ Dieses Zaubergeschäft, von dem hier Mario Knapp – der Mann hinter dem Ein-Mann-Projekt MOBILE ETHNIC MINORITY – spricht, ist im Falle von „Evolver“ tatsächlich ein zauberhaftes Album, das sich minimalistisch instrumentiert und wunderbar gesungen als traurige, fragile Variante genau zwischen die Stühle setzt, die ein DANIEL LANOIS und JOHN LENNON, ein BOB DYLAN und E von den EELS aufgestellt und zuvor mit ihrem akustischen Instrumentarium sowie ihren Stimmen vorbildlich gezimmert haben. MOBILE ETHNIC MINORITY ist/sind die eindrucksvolle Antwort auf die hektische Moderne, die leider anscheinend heutzutage – im Streaming- und Klick-Zeitalter digitaler Oberflächlichkeit – immer weniger hören wollen. Traurig?! Nö, denn nach wie vor gilt auch in dieser Beziehung das, was der letzte Song von „Evolver“ zum Ausdruck bringt: „If I Had Choice“; dann würde ich „Evolver“ wählen.