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Mark Pritchard & Thom Yorke: Tall Tales (Review)

Artist:

Mark Pritchard & Thom Yorke

Mark Pritchard & Thom Yorke: Tall Tales
Album:

Tall Tales

Medium: CD/Download/Do-LP
Stil:

Electronics, Ambient Pop, Indie Voices, Neo-Krautrock

Label: Warp Records
Spieldauer: 61:39
Erschienen: 09.05.2025
Website: [Link]

Nachdem wir wohl unsere Hoffnungen begraben können, dass endlich mal wieder RADIOHEAD aus den alternativen Rockmusik-Löchern kriechen, um mit ihrer überbordenden Kreativität den Musikmarkt mit einer weiteren spannenden wie unberechenbaren Scheibe zu beglücken, bleibt uns eben doch nichts Anderes mehr übrig, als uns auf all die Kollaborationen ihres singenden Masterminds THOM YORKE zu konzentrieren sowie damit gezwungenermaßen auch zu begnügen. Egal, ob die nun THE SMILE oder ATOMS FOR PEACE heißen bzw. als Yorke-Solo-Alben daherkommen. THOM YORKE jedenfalls beweist sich gegenwärtig als der fleißige Gralshüter RADIOHEADs. Und wie gut das klingen kann – dafür gibt’s hier einen weiteren Beweis, auch wenn der manchmal mehr nach KRAFTWERK oder elektronischen Inkarnationen des Krautrocks als nach RADIOHEAD klingt!


Dieser illustren Reihe der spannenden Musik-Ausstöße darf nunmehr ein weiterer, ebenso spannender wie ungewöhnlicher, mit MARK PRITCHARD & THOM YORKE unter dem Titel „Tall Tales“ (inspiriert von „1984“ eines GEORGE ORWELLs und dem Lockdown, in dem die politischen Kasten erprobten, wie man ganze Völker aufgrund eines Virus' einsperren könne und diese Bevölkerungen die Beschneidung ihrer Freiheit viel zu gutgläubig hinnahmen und sich selbst der dümmsten und für sie gefährlichen Anordnung unterwarfen) hinzugefügt werden.
Doch ganz so schmal oder gar flachbrüstig sind die Geschichten hinter besagtem Album nun wirklich nicht – viel eher im besten orwellschen Sinne erschreckend.
Gleiches gilt für die Musik, deren experimentierfreudige Kraft für einige Aufregung sorgt und des Krautrockers Herzen ein bisschen höher schlagen lassen dürfte. Und die genau da ansetzt, wo die Zusammenarbeit der Beiden für den Pritchard-Song „Beautiful People“ vor etwa zehn Jahren begann.


Denn bereits wenn man beginnt, nach einer Beschreibung für die Musik hinter „Tall Tales“ zu suchen, wird es schwierig. Also ganz typisch THOM YORKE...
...Nur was ist bei dem eigentlich 'typisch'?
Höchstens dass er es einem mit seiner extrem wechselhaften Stammband RADIOHEAD oder seinen Solo- und Kollaboration-Werken noch nie einfach gemacht hat.
Eigentlich war er so eine Art Krautrocker, der eben nicht aus Deutschland kam, sich dafür aber für kein musikalisches Experiment zu schade war und auf diese Weise Einzigartiges schuf.
Und genau das ist für alle Musikfreigeister, die mit „Kid A“ genauso viel anfangen können wie mit „OK Computer“ immer wieder ein unberechenbares Erlebnis, wobei Yorke diesmal wie wild mit seiner Stimme experimentiert, seinen Gesang manipuliert, voller Effekte verfremdet und verfälscht, um so die unterschiedlichen, in seinen Texten geschaffenen Realitäten jede für sich aufleben lassen zu können.


Hier also setzen MARK PRITCHARD & THOM YORKE an, erschaffen etwas Neues – zwischen beängstigend und geheimnisvoll – und wenden sich nunmehr dem Neo-Krautrock pritchard-yorkescher Prägung zu.
Wenn man es so nennen will.

Auch andere Begriffe kommen einem bei „Tall Tales“ in den Sinn, genauso wie Bands, die in den damaligen Siebzigern als KRAFTWERK und NEU! oder CAN und CLUSTER ihr elektrokrautiges Unwesen trieben und damit ein ganzes Genre neu erfanden. Doch gerade diese elektronische Ausrichtung erhält ihre vorrangige Prägung besonders durch den britischen Elektronik-Pionier Pritchard, der sich gerne auch unter den Pseudonymen HARMONIC 313 oder TROUBLEMAN und LINK sowie N.Y. CONNECTION musikalisch präsentierte. Ein echter Klang- und Sound-Zauberer, der die feinsten effektvollen (Stereo-)Klänge zu erzeugen in der Lage ist, sodass „Tall Tales“ nicht nur musikalisch sondern auch klangtechnisch ein außergewöhnliches Erlebnis ist und bleibt.


Demgegenüber steht zusätzlich der ungewöhnliche Abwechslungsreichtum, wie man ihn von RADIOHEAD gewohnt ist, auf dieser recht finster und elektronisch anmutenden Doppel-LP, die noch dazu sehr ansprechend im Gatefoldcover samt zweier (unter anderem mit allen Texten) bedruckter Innenhüllen gestaltet ist. Die Keyboards und elektronischen Klangerzeuger geben häufig die Stimmung vor – und natürlich die charismatische, aber oft auch verfremdete Yorke-Stimme.
Also: Synthesizer so weit das Ohr hören kann, die kräutrig und psychedelisch das Treiben verrückt machen, während Yorke seine sich zwischen Betrug, Genie und Wahnsinn bewegenden Texte, welche immer wieder Hörers Geist herausfordern, mit unterschiedlicher Stimm-Modulation vorträgt und die tatsächlich ähnlich verrückt wirken wie die Musik – der „Soundtrack für eine dystopische Welt“; so bezeichnet es zumindest sehr passend ein begeisterter Hörer des Albums und der bandcamp-Seite der beiden.


Das passt – aber verunsichert manchmal auch ein wenig.
Denn einerseits pluckert und rauscht es synthetisch, andererseits fühlt man sich bei „Back In The Game“ sogar in die Zeiten der disco-gewellten 80er-Jahre-Pop-Bands (besonders die aus JOY DIVISION hervorgegangenen NEW ORDER) versetzt, während der bis dahin mehr in den tiefen Tonlagen singende Yorke plötzlich mit „The White Cliffs“, dem mit gut acht Minuten (genauso wie der Album-Opener) längsten Song, die Eunuchen-Ton-Höhen erklimmt. Ja, der neugierige Hörer kann sich nicht beschweren, dass ihm auf „Tall Tales“, trotz all der Electronics, keine Überraschungen geboten würden.


Dieses Album von MARK PRITCHARD & THOM YORKE polarisiert.
Aber derjenige, der die elektronischen Experimente von RADIOHEAD über THOM YORKEs „The Eraser“ (2006) bis hin zu ATOMS FOR PEACE mag, der wird von „Tall Tales“ begeistert sein, auch wenn das alles (mal wieder) extrem abgefahren und weltuntergangsstimmungsmäßig klingt und nicht nach Rock sondern Electronic! Und ein wenig irre sollte man dann wohl auch sein – genauso wie der Kritiker hier, der sich eigentlich von der ersten Minute an (vielleicht gerade wegen des KRAFTWERK-Bezugs, aber auch der plötzlichen „Zoolook“-Parallelen eines JEAN MICHEL JARRE mit Hang zu LAURIE ANDERSON im Titeltrack) magisch von dieser Musik und dem Gesang, der wie aus einem anderen Universum von orwellscher Dimension klingt, angezogen fühlt.


Und die Magie lässt - bis zum Album-Ende nach immerhin über einer Stunde Laufzeit - nicht nach, selbst wenn fast am Ende mit „The Man Who Dance In Stag's Heads“ anscheinend ein Harmonium ausgepackt und ein mittelalterlich anmutender Song kreiert wird, den diesmal Pritchard sprech-singt. Wieder so ein Moment, den man garantiert nicht auf der letzten LP-Seite bzw. dem gesamten bis dahin so elektronisch ausgestattetem Album erwartet hätte! Gleiches gilt dann auch für die abschließende Genie-Wanderung, bei der fette Orgel- und Flötensounds sowie Stimmsamples zu einem regelrechten Klangmonster aufgeschichtet werden, um den von dieser Doppel-LP entweder geplätteten oder vielleicht doch überforderten Hörer mit seiner begeisterten oder verstörten Verblüffung aus „Tall Tales“ zu entlassen.
Plötzliche Stille!
Die nach diesem Album kaum zu ertragen ist!
Also: Noch einmal von vorn...


FAZIT: Was im Jahr 2016 mit einem Song namens „Beautiful People“ begann, wird mit diesen „Tall Tales“ auf wunderbare Weise fortgesetzt. Damals sang THOM YORKE für MARK PRITCHARDs 'Wundervolle Menschen', nun bringen beide diese Doppel-LP heraus, die (einfalls)reich mit elektronischem Neo-Kraut und natürlich der charismatischen Stimme des RADIOHEAD-Sängers bestückt wurde und vordergründig das Böse, wie wir es aus den „Big Brother is watching you“-Zeiten kennen, vertont. Da kommen Erinnerungen an die „Kid A“-Zeiten genauso wie an die extrem verspielten elektronischen Yorke-Solo-Alben auf, wobei sich MARK PRITCHARD (auch unter den Pseudonymen HARMONIC 313 oder TROUBLEMAN und LINK sowie N.Y. CONNECTION aktiv) als ganz großer Meister seines Elektronik-Fachs beweist. Eine extrem spannende und fruchtbare Musikerfreundschaft, die hoffentlich mit „Tall Tales“ nicht die letzte Musik-Geschichte bleibt. Und dass die bedrückende Schwere hinter dieser Doppel-LP sich daraus ergibt, dass der Album-Titel von dem GEORGE ORWELL-Roman „1984“ inspiriert wurde, ist nur ein weiteres hochgradiges Qualitätsmerkmal hinter diesem einzigartigen Pritchard-Yorke-Musikkosmos.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 166x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 13 von 15 Punkten [?]
13 Punkte
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Tracklist:
  • Seite A (17:49):
  • A Fake In A Faker's World (8:18)
  • Ice Shelf (4:47)
  • Bugging Out Again (4:44)
  • Seite B (17:55):
  • Back In The Game (4:41)
  • The White Cliffs (8:19)
  • The Spirit (4:55)
  • Seite C (12:23):
  • Gangsters (3:29)
  • The Conversation Is Missing Your Voice (3:54)
  • Tall Tales (5:10)
  • Seite D (13:32):
  • Happy Days (4:20)
  • The Man Who Dance In Stag's Heads (3:41)
  • Wandering Genie (5:31)

Besetzung:

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